Gelfands Tagebuch für 1945-1946 erschien 2005 in deutscher Übersetzung und wurde zu einer echten Sensation. Vielleicht hatten die deutschen Leser zum ersten Mal die Gelegenheit, die Niederlage des Dritten Reiches, die Besetzung Deutschlands, das Verhältnis zwischen sowjetischen Truppen und Deutschen (besonders deutschen Frauen, was vielleicht schmerzhafteste und am meisten diskutierte Thema in Deutschland am Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts ist) aus den Augen eines sowjetischen Offiziers zu sehen. Natürlich wurden die Memoiren von Lev Kopelev bereits geschrieben und veröffentlicht. Sie umfassten jedoch einen relativ kurzen Zeitraum, sie wurden - wie es für die Erinnerungen sein sollte –von der gleichen, aber schon etwas anderen Person geschrieben und waren, in gewissem Maßen, ein literarisches Werk. Gelfands Tagebuch umfasste fast zwei Jahre, war sehr detailliert und offen.
Wladimir Gelfand starb am 25. November 1983 im Alter von 60 Jahren. Ihm hat nur etwas Zeit gefehlt, bis der "Zensurvorhang" über der sowjetischen Vergangenheit zum ersten Mal aufging und dann völlig abgerissen wurde. Und wahrscheinlich konnte er in seinen wildesten Träumen, wo er seit seiner Kindheit von der Berühmtheit eines Schriftstellers geträumt hat, sich nicht vorstellen, dass sein Militärtagebuch in Fremdsprachen übersetzt und ein Bestseller in Deutschland wird, in Dutzenden von Werken über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zitiert wird.
Im Zuge der deutschen Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg hat die Entdeckung außergewöhnlicher persönlicher Zeugnisse schon mehrmals für Aufsehen gesorgt. Aus dem großen, mittlerweile gut erschlossenen Fundus individueller Hinterlassenschaften wie privater und halböffentlicher Korrespondenzen oder Fotosammlungen fanden einige Äußerungen zu Erlebnissen an der deutschen Ostfront besondere Aufmerksamkeit. So die Gedichte in Briefen von Hermann Kükelhaus und das „Bekenntnis aus dem großen Krieg“ von Willy Peter Reese. Wladimir Gelfands Aufzeichnungen dokumentieren nun zum ersten Mal eine Haltung auf der anderen Seite der Front. Gelfands literarisches Talent zu bewerten, dürfte schwerfallen. Auch Lew Kopelew benötigte ja zeitliche Distanz, um die Fronterlebnisse in einer Dokumentation mit künstlerischem Wert auswerten zu können.
Dr. Elke Scherstjanoi, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
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