Wenn wir an Archäologie denken, dann haben wir Bilder im Kopf, die mit prähistorischen Siedlungen zu tun haben, mit antiken Tempeln oder mittelalterlichen Stadtbefestigungen. Doch der Boden gibt auch Objekte preis, die bis in die unmittelbare Gegenwart reichen. Und die unser Wissen über vermeintlich vollständig dokumentierte Zeiten erweitern. Im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst gibt es ein Beispiel dafür. Bis Ende Oktober ist hier die Ausstellung "Zwischen Krieg und Frieden. Waldlager der roten Armee 1945" zu sehen. Harald Asel hat dazu mit Thomas Kersting gesprochen. Er leitet im Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege das Dezernat Bodendenkmalpflege und ist der Kurator der Ausstellung.
Nach Ende der Kampfhandlungen im Mai 1945 verbrachten viele sowjetische Soldaten die Zeit bis zur Rückführung in die Heimat in so genannten "semljankas" in den Brandenburgischen Wäldern, neu errichtete Grubenhütten, wie sie im slawischen Raum seit Jahrhunderten vorkommen. Etwa 70 Stellen sind bekannt, viele davon im Havelland oder unmittelbar östlich von Berlin.
In den Vitrinen im Kellergeschoss des Museums sehen wir zunächst unscheinbare, oft verbeulte Alltagsgegenstände. Militärische Ausrüstung, wie Ferngläser oder Steigbügel, der Rest des Schalllochs einer Schalmei. Und mittendrin werden private Geschichten sichtbar, kleine Aluminiumschilder mit eingeritzten Kosenamen für Pferde. Wir müssen schon Geduld und Phantasie mitbringen, um inmitten des Weggeworfenen die Zeugnisse der großen Zeitläufte zu finden.
2,5 Millionen sowjetische, aber auch polnische Soldaten waren ab Mitte April 1945 an den Kämpfen um die Reichshauptstadt Berlin beteiligt. 350 000 Sowjetbürger und 9000 Polen fanden den Tod. Die Waldlager erzählen von der unmittelbaren Zeit danach. Geschichten über "die Russen", die in der deutschen Bevölkerung kursierten, aber in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR nicht offen zur Sprache kommen konnten, werden nun anhand der Funde überprüft.
Da gibt es zum Beispiel eine selbstgebastelte Schachtel zum Aufbewahren privater Gegenstände aus Aluminium, auf der in kyrillischen Buchstaben "Hannover" steht. In manchen der Waldlager finden sich auch Erkennungsmarken mit Nummern von Kriegsgefangenen, so genannte Stalagmarken. Mit Hilfe der Arbeit der russischen Zivilorganisation "Memorial" lassen sich dadurch persönliche Geschichten rekonstruieren.
Die Ausstellung "Zwischen Krieg und Frieden. Waldlager der Roten Armee 1945" war bereits im Archäologischen Landesmuseum in Brandenburg an der Havel im ersten Halbjahr zu sehen, nun sind die Funde bis Ende Oktober im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst ausgestellt. Weitere Stationen werden die Gedenkstätte Seelower Höhen und Küstrin sein. Die Macher versprechen sich dadurch ein jeweils unterschiedliches Publikum zu erreichen. Aus den Sammlungen des Karlshorster Museums sind Gegenstände des Offiziers Wladimir Gelfand ausgestellt. Sein privates Kriegs- und Nachkriegstagebuch ist vor einigen Jahren auf Deutsch erschienen und schildert Begegnungen mit der deutschen Bevölkerung, ergänzt durch Fotos, die den Stolz des Siegers zeigen. Ein heikles Thema der geteilten Erinnerungen zeigt sich denn auch bei den Vitrinen mit einem verbeulten Wecker und kaputten Taschenuhren.
Es geht der Ausstellung nicht um eine moralische Bewertung, sondern eher um das Herausarbeiten anthropologischer Grundkonstanten. Konstanten sind auch technologische Prozesse. Sowohl im Begleiter des Partisanen, einem vielgelesenen Handbuch der Sowjetunion, wie auch in einer deutschen Publikation von 1942 findet sich exakt dieselbe Zeichnung zur Errichtung der Grubenhäuser. Ein Dokument der militärischen Zusammenarbeit in der Zwischenkriegszeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion? Oder Zufall? Dass im Süden Brandenburgs keine Waldlager zu finden sind, liegt daran, dass die von dort auf Berlin zustoßenden Ukrainischen Armeen unmittelbar nach der Einnahme Berlins abgezogen wurden. Sie marschierten nach Süden, in das bis zur Kapitulation von den Deutschen besetzte Prag.
An Ereignissen bleibt nachzutragen, dass gerade auf der thüringischen Veste Heldburg das Deutsche Burgenmuseum seine Dauerausstellung eröffnet hat, bestückt zu wesentlichen Teilen aus Beständen des Deutschen Historischen Museums Berlin und des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Zu sehen sind beispielsweise jene in Kampfstellung präsentierten Ritterrüstungen, die bereits bei der Burgenausstellung in Berlin 2010 für Furore sorgten.
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