Obwohl ich zu der Generation gehöre, die „die Gnade der späten Geburt“ genießen durfte, habe ich nicht die Gnade des späten Vergessens inhaliert – wie es unserer Elterngeneration zueigen war. Nicht nur die Generation der Kinder, sondern auch nunmehr die der Enkel stellt sich zum Ablauf der großen Europäischen Katastrophe (genannt: 2. Weltkrieg) immer wieder neue Fragen.
Konkret auch zum Unternehmen „Barbarossa“, wie der Überfall auf die Sowjetunion am 22.6.1941 verklausuliert wurde. Als Entschuldigung für meine Elterngeneration habe ich mir erlaubt, am 22.6. ein paar Blumen am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow zu hinterlegen. Für alle Neuberliner, die diesen Ort noch nicht so recht kennen, hier der Versuch einer Beschreibung:
Natürlich ist dieses Denkmal ein stalinistischer Bombast, der im Gegensatz zum Stalin-Denkmal stehengeblieben und auch durch die „Zwei + Vier-Verträge“ der Wiedervereinigung geschützt ist. Das war damals ein wichtiger Vertragspunkt! Und es wird auf den Sarkophargen natürlich nur Stalin zitiert und die ruhmreiche Sowjetarmee als alleiniger Sieger dargestellt. Wieviel Offiziere der stalinistischen Säuberung zum Opfer gefallen sind, weiß keiner so genau, und dass die Sowjetarmee daurch geschwächt und desolat war, kann man sogar zwischen den Zeilen des „Deutschland-Tagebuchs“ von Wladimir Gelfand lesen. Dieser irrsinnige Blutzoll lässt sich vielleicht auch dadurch erklären – – – und auch durch den Ehrgeiz der Generäle, die Kapitulation unbedingt noch zum 1. Mai Väterchen Stalin zum Geschenk zu machen. Die Hauptleidtragenden waren – wie so oft – die Zivilisten : Frauen, Kinder, Greise, Bauern und viele Russen, die früher sogar eine heimliche Bewunderung für Deutschland empfanden. Vertan, dank des Größenwahns eines Polit-Darwinismus, der zur Zeit wieder klammheimlich um sich greift. Doch bei aller Kritik an der Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges – eben auch zur Zeit des kalten Krieges entworfen – ist die Hauptfigur des Denkmals auf einem Kurgan ein erstaunlich friedliches Motiv : Keine gereckte Faust, kein Sturmgewehr wie sonst üblich, sondern ein Soldat, der ein Kind trägt und mit dem Stiefel das Hakenkreuz zertritt. Das gesenkte Schwert ist wohl nur ein romantisches Attribut, denn mit dem Schwert hat man 1945 Berlin nicht erobert.
Was ist nun mein Motiv, dort überhaupt eine Gedenkminute einzulegen ? (Der Bundestag hat immerhin eine Gedenkstunde daraus gemacht). Es ist die Scham über die Verdoppelung einer Untat, erst ein Verbrechen zu begehen und es dann – zweitens – zu verharmlosen. Jahrelang hatte ich früher immer nur von einem Einmarsch in Polen und in die Sowjetunion gehört, jahrelang wurde der deutsche Landser als aufrechter Kämpfer gefeiert, der die abgefackelten Dörfer wahrscheinlich als Kollateralschaden verarbeitet hat. Und bei Fragen an die Eltern gab´s immer gleich was hinter die Ohren. Und nun ist unsere Nation noch nicht einmal zu einer Gedenkveranstaltung bereit gewesen – am D-Day hat man das erheblich aufwändiger gemacht.
Immerhin waren am Denkmal frische Kränze niedergelegt, erwartungsgemäß vom Senat, der Bundesrepublik und der Partei der Linken. Ferner – auch erwartungsgemäß – von Russland, etlichen Sowjet-Folgestaaten (Tadschikistan, Kirgisien, Armenien u.a.m) und dann – zu meiner großen Verwunderung – ein Kranz von der Republik Italien. Wollte sich da eine ehemalige Achsenmacht bei den Russsen entschuldigen ? Dann hätte vielleicht auch Japan einen Kranz aufstellen müssen, obwohl der Krieg zwischen Japan und der UdSSR nur eine Woche gedauert hat (was nicht JedeR weiß).