Im Januar dieses Jahres hörte ich beim Radiosender „Echo Moskwy“ eine weitere Folge der interessanten Reihe „Der Preis des Sieges“. In dieser Sendung ging es ausnahmsweise nicht um entscheidende Schlachten des Zweiten Weltkriegs, nicht um herausragende Befehlshaber und nicht um die Waffen des Sieges – sondern um ein Tagebuch. Genauer gesagt, um die Tagebuchaufzeichnungen eines Leutnants der Roten Armee, eines Zugführers in einer Schützenkompanie, später eines Transportoffiziers – Wladimir Gelfand. Von 1942 bis 1946 diente er in der Armee, und ab Mai 1945 gehörte er zu den Besatzungstruppen in Deutschland.

Warum hat mich diese Sendung so interessiert? Weil darin erwähnt wurde, dass Wladimir Gelfand nach dem Krieg in Molotow (dem heutigen Perm) lebte, also bei uns. Dort studierte er, heiratete und bekam einen Sohn. Ich erinnere mich noch aus meiner Kindheit daran, dass meine Mutter bis zu ihrem Lebensende mit einer Kollegin befreundet war – der bekannten Perm-Kinderärztin Bertha Dawidowna Gelfand.

Und ich selbst kenne seit vielen Jahren ihren Sohn Alexander – Sascha – und empfinde bis heute warme und freundschaftliche Gefühle ihm gegenüber. Er und seine Familie leben schon lange in Israel. Ich erinnere mich gut, wie Bertha Dawidowna meiner Mutter beistand und ihr half, als diese lange Zeit ernsthaft krank war. Und wie meine Mutter sie im Gegenzug besuchte und ihr selbstgekochte Suppe brachte.

In einem aktuellen Gespräch mit Sascha Gelfand über Skype erzählte ich ihm von der Radiosendung und dem Blog, der seinem Namensvetter gewidmet ist. Sascha sagte, dass es dabei um seinen Vater gehe. Leider wisse er nur wenig über ihn und dessen militärische Vergangenheit, denn seine Eltern trennten sich, als er noch ein Kind war – Mitte der 1950er Jahre. Sein Vater verließ damals Molotow und kehrte in seine Heimatstadt Dnepropetrowsk zurück.

Danach beschloss ich, mehr über die Fronstagebücher und über Wladimir Gelfand selbst zu erfahren.

Das Erstaunlichste war, dass ich im Internet sehr schnell eine Fülle von Informationen fand. Darunter auch den berühmten, über 400 Seiten langen (!) Tagebuchtext. Er wurde von Vitali, dem Sohn von Vladimir Gelfand aus dessen zweiter Ehe, in Druckform und als elektronische Ausgabe herausgegeben. Das Erstaunlichste war, dass ich im Internet sehr schnell eine Fülle von Informationen fand. Darunter auch den berühmten, über 400 Seiten langen (!) Tagebuchtext. Er wurde von Vitali, dem Sohn von Vladimir Gelfand aus dessen zweiter Ehe, in Druckform und als elektronische Ausgabe herausgegeben.

Vitali lebt in Deutschland, in Berlin, und bewahrte das Archiv seines Vaters in einem großen Karton auf. Seit 1987 arbeitete er an der Entzifferung der Handschrift dieses bedeutenden Erbes und widmete dieser Aufgabe ein Vierteljahrhundert seines Lebens. Neben den Tagebüchern enthält das Archiv von Vladimir Gelfand auch Berichte, verschiedene offizielle Dokumente, Gedichte, Briefe an ihn und von ihm, sowie rund 500 Fotografien. Es handelt sich um ein riesiges Konvolut an Material.

Im Jahr 2005 wurde ein Teil des Tagebuchs – die Aufzeichnungen aus den Jahren 1945–1946 – auf Deutsch veröffentlicht. Diese Ausgabe wurde in Deutschland zu einer Sensation, denn dort erinnert man sich heute, besonders in den letzten Jahren, wieder verstärkt an die Geschehnisse der Jahre 1945 und 1946. Zum ersten Mal erlebte man dieses Stück Geschichte aus der Sicht eines sowjetischen Offiziers. Im Jahr 2007 wurde in Deutschland sogar ein Theaterstück auf Basis des „Deutschland-Tagebuchs“ inszeniert, das unter dem Titel „Russisch-deutscher Soldatensprachführer. Die Geschichte eines Dialogs“ lief.

Das Paradoxe an der Geschichte von Gelfands Tagebuch ist, dass es zuerst auf Deutsch erschien – und das über einen schwedischen Verlag. In Russland hingegen wurde es bis heute nicht in Buchform veröffentlicht – man kann es nur im Internet lesen. Vladimir Gelfand begann sein Tagebuch im Mai 1941 als Schuljunge und beendete es im Oktober 1946, kurz nach seiner Rückkehr aus dem besetzten Deutschland in seine Heimatstadt Dnipropetrowsk.

Ich habe das Tagebuch innerhalb einer Woche aus dem Internet heruntergeladen und war vom Lesen tief beeindruckt. In seiner Emotionalität, in der Genauigkeit der Beobachtungen, seinem psychologischen Feingefühl, seiner Ironie und Selbstironie sowie durch die klare, literarisch dichte Sprache wurde es für mich zu einer großen Offenbarung – und zuweilen auch zu einem Schock. Literarisch gesehen ist es eine eigenwillige Legierung aus den ersten Antikriegsromanen von Remarque und Hemingway, Isaak Babels „Roter Kavallerie“, Hašeks Schwejk-Epos, Baklanow, der Leutnantsprosa von Bulat Okudshawa – und manchmal sogar Scholochows „Sie kämpften für die Heimat“, Simonows Kriegstagebüchern oder den Kriegserzählungen von Astafjew. All das ist in diesem Tagebuch auf eindrucksvolle Weise präsent – sowohl literarisch als auch auf der persönlichen, fast beichtartigen Ebene.

Gelfand schrieb seine Einträge unter völlig unvorstellbaren Bedingungen. In Schützengräben, bei kurzen Pausen auf Munitionskisten am Straßenrand, in Lazaretten, nachts bei Kerzenstummeln, mit selbstgebauten Öllampen aus Patronenhülsen. Er schrieb in Hefte, Notizbücher, auf lose Blätter und Papierschnipsel. Und das Entscheidende: Er schrieb nicht im Rückblick – sondern unmittelbar, am selben oder am nächsten Tag! Es handelt sich nicht um eine nachträgliche Darstellung, sondern um ein zeitnahes Zeugnis. Genau das macht persönliche Dokumente wie dieses so unschätzbar wertvoll – alles, was Gelfand sah, bekam einen Namen.

Das Tagebuch von Gelfand stellt ihn nie als Helden dar. In die Armee wurde er am 6. Mai 1942 eingezogen, nach nur drei Wochen Ausbildung wurde er an die Front bei Charkow geschickt. Er geriet in eine der schwierigsten Phasen des Krieges – die sogenannte Charkower Katastrophe. Trotz anfänglicher zahlenmäßiger Überlegenheit wurden unsere Truppen zurückgeworfen. Hier ein Auszug aus seinem Tagebuch:

20.08.1942
Einzelne, kleine Gruppen und ganze Einheiten sind erschöpft, abgekämpft. Viele haben Zivilkleidung angezogen, die meisten ihre Waffen weggeworfen. Manche Offiziere haben ihre Abzeichen entfernt. Es ist beschämend! Was für eine erschütternde Diskrepanz zur Darstellung in den Zeitungen. Wehe mir, ein Soldat, Komsomolze, Patriot meines Vaterlandes! Mein Herz zieht sich zusammen vor Scham und Hilflosigkeit angesichts dieses schändlichen Rückzugs. Täglich werde ich mehr und mehr davon überzeugt, dass wir stark sind, dass wir letztlich siegen werden. Aber ich muss mir widerwillig eingestehen: Wir sind schlecht organisiert, es fehlt an Disziplin – deshalb zieht sich dieser Krieg in die Länge, deshalb erleiden wir Niederlagen. Das Oberkommando hat die Truppen im Stich gelassen, hat große Teile der Roten Armee verraten, obwohl die Front noch nicht einmal weit entfernt war. Die deutschen Flugzeuge kreisen ungehindert über unseren Köpfen – wir können sie nicht vertreiben, nicht einmal die Köpfe heben, um zu fliehen. Alle Brücken und Übergänge sind zerstört, Vieh und Habe liegen zerfetzt und verstümmelt am Wegesrand. Überall herrschen Plünderung und Feigheit. Der Fahneneid und Stalins Befehl werden auf Schritt und Tritt gebrochen.

Ein sehr persönlicher, erschütternder Text. Und doch spricht hier ein sowjetischer Patriot. Natürlich begrüßte er mit Begeisterung Stalins berüchtigten Befehl Nr. 227: "Keinen Schritt zurück!"

Während des Rückzugs aus Charkow geriet Gelfand in einen Kessel, aus dem er entkam. Danach zog er sich nach Stalingrad zurück, nahm an der Verteidigung teil und wurde im Dezember verwundet. Nach dem Lazarett kämpfte er in der Ukraine, u. a. in den Vorstößen auf die Krim 1943–44. Er überquerte die berüchtigte Bucht von Siwasch. Er gehörte zu den ersten Soldaten, die in Odessa einmarschierten – seine Einträge von dort stammen aus den ersten beiden Tagen nach der Befreiung der Stadt. Gelfand war Mörserschütze – die gefährlichste Aufgabe des Krieges, direkt in der Infanterie. Zunächst war er einfacher Soldat, später Sergeant, dann besuchte er die Offiziersschule für junge Leutnants (mit einer Vorbildung von acht Schulklassen und einem Arbeiter-Vorbereitungskurs für die Hochschule – insgesamt also neun Klassen).

Von Anfang an erlebte der jüdische Schüler Gelfand in der Armee Erniedrigung, Beleidigungen, sogar Schläge, Betrug, Diebstahl, Ungerechtigkeit durch Vorgesetzte. Mit Schmerz und Empörung, aber auch im Geist des sowjetischen Internationalismus, beschreibt er in seinem Tagebuch den Antisemitismus, dem er sich Jahr für Jahr stellen musste – seit 1941 bei der Evakuierung aus dem Nordkaukasus bis zu seiner gesamten Zeit in der Armee.

23.10.1941, Essentuki
Juden. Elend und arm, stolz und klug, weise und kleinlich, gut und böswillig, ängstlich und verzweifelt, rücksichtslos...
Auf den Straßen, in den Parks, beim Bäcker, in der Kerosinschlange – überall dieses abscheuliche, gehässige Flüstern. Man spricht über die Juden. Juden – Diebe. Eine Jüdin habe einen Pelzmantel gestohlen. Juden hätten Geld. Einer habe 50.000 Rubel dabei gehabt, klagte aber über Armut. Ein anderer sei kahlköpfig, aber Chef gewesen. Juden arbeiten nicht gern. Juden wollen nicht zur Roten Armee. Juden leben ohne Registrierung. Juden haben uns in Schwierigkeiten gebracht. Kurz: Die Juden sind an allem schuld.
Bisher hat mir noch niemand offen gesagt: Du bist ein Jude. Aber ich merke: Hier im Nordkaukasus ist Antisemitismus ein Massenphänomen. In der Schule, in der Pause, sagen Jungs in Anwesenheit des Klassenführers, dass bei einem Bombenangriff Juden sofort schreiend fliehen, ihre Sachen wegwerfen – eine Jüdin habe sogar ihre Hände zum Himmel gehoben und geschrien.

28.06.1942
Auf dem Weg nach Stalingrad fand ich zwei deutsche Flugblätter. Was für dumme, engstirnige Autoren haben die verfasst! Wer soll diese Argumente denn ernst nehmen? Leider bringen sie aber auch antisemitische Behauptungen: "Wir kämpfen nur gegen die Juden – sie sind die wahren Schuldigen an diesem Krieg!"
Sie behaupten, Juden hätten sich in den Hinterland versteckt, gingen nicht an die Front, wollten nicht kämpfen. Das ist lächerlich. Ich werde mit eigenen Beispielen zeigen, was für ein Unsinn das ist. In unserer Batterie dienen mindestens sieben Juden. Ja, es sind weniger als Russen – aber es gibt auch insgesamt viel weniger Juden. Und was ihre angebliche Feigheit angeht: Ich könnte viele Namen nennen, die das Gegenteil beweisen.

1942.12.29 Welche Schurken sind in der Armee, diese verrückten Antisemiten. Darüber hinaus ist es schwierig, unter den schlimmsten Bedingungen in unserem Krankenhaus zu leben. Frühstück bekommen wir zum Beispiel um 6 oder 7 Uhr nachts. Um 5 Uhr morgens gibt es kein Mittagessen mehr. Und das Essen – flüssiges Wasser mit Grieß vermischt, drei Schöpfkellen voll. Brot – 600 Gramm, Butter – 20 Gramm, Zucker – 40. Viele andere schreckliche Probleme, aber die Leute (nicht alle) machen die Juden verantwortlich, beschimpfen uns offen als Juden. Ich bekomme mehr als alle anderen ab, obwohl ich natürlich an nichts schuld bin. An mir lassen sie ihren Zorn aus und schreien mich als "Jude" an, lassen mich kein Wort sagen, schreiben oder jemandem mitteilen, wenn sie Müll auf mein Bett werfen und es beschmutzen.

Es war ein politischer Offizier da, auch ein Jude. Er versuchte mit allen zu reden, kam mit allen aus, aber sobald er ging, warfen sie ihm und allen Juden schreckliche Beleidigungen hinterher. Zorn schnürt mir die Kehle zu. Jetzt ist es dunkel, ich kann nicht mehr schreiben, zumal einer dieser Bastarde, die mich schikanieren, mir Müll auf den Kopf wirft, und ich muss an den Rand der Koje rutschen.

Die Deutschen erschossen bei ihrem Rückzug viele Menschen in Salsk. Hier wurden einige Juden erschossen und einige Kommunisten (die einflussreichsten).

1943.03.13 Diese Geschichten über Massenhinrichtungen unschuldiger Juden machen mir große Sorgen um meine lieben Verwandten in Jessen­tuki. Was die Deutschen betrifft, so habe ich für mich entschieden, dass es keine gemeineren oder tödlicheren Feinde gibt als sie. Bis zum Sarg, bis zum letzten Atemzug. Im Hinterland und an der Front werde ich meinem Vaterland und seiner Regierung dienen, um für die Gleichstellung der Juden einzutreten. Ich habe nie die Ukrainer verteidigt, die sich dem Feind angeschlossen haben, die ihre Stiefel putzen, ihre Hände lecken… Und ihre Gesichter verkaufen sie für Hundeknochen.

Karymov, ein Sergeant, war einer der Patienten in der Station. Plötzlich begann er, einen anderen Patienten zu beschimpfen. Jemand meinte, dieser sei Jude, obwohl er Russe war. "Die Juden sind allesamt Schurken", sagte Karymov laut. "Die sitzen alle im Krankenhaus. Ich wurde entlassen, obwohl meine Wunde nicht verheilt war. Wo es gut ist, da sind die Juden – Juden und Jüdinnen. Kein Wunder, dass die Deutschen auf sie schießen. Auch bei uns sind sie wie Abfall." Und er beendete seine Tirade mit einer theatralischen Geste in meine Richtung.

1945.07.05 Über die Juden. Warum bin ich ein Jude? Warum gibt es Völker auf der Welt? Warum mögen sie die Juden nicht? Warum verstecken sie so oft ihre Herkunft?

Da ist ein jüdischer Soldat. Obwohl er einige Gewohnheiten hat, die mir nicht gefallen – er gestikuliert stark beim Reden, fasst den Gesprächspartner an der Jacke, zieht ihn am Arm – ist er mir trotzdem nahe und sympathisch. Denn auch er wird verachtet, wie ich. Er wird nicht gemocht, wie ich. Und während ich äußerlich eher wie ein Georgier oder Armenier aussehe – was meine jüdische Herkunft verbirgt –, zeigt mein Name sofort, woher ich komme.

Am 24. gingen wir zu den Regimentsübungen, 19 Kilometer von hier nach Nowotscherkassk. Heute kam die Kompanie an. Kuzin, ein Kämpfer mit dem Spitznamen Rothaariger, schrie lange, dass ich ein Simulant sei, dass wir Juden schon längst erschossen gehören, dass ich ein "verfluchtes jüdisches Gesicht" sei. Als ich ihm entgegnete, dass er nicht so reden solle, meinte er nur, er könne sagen, was er wolle. Später warf er sich auf mich, würgte mich, aber ich drückte ihn nicht richtig zurück. Die meisten grinsten mitfühlend, einige wie Habibullin und ein Pole unterstützten ihn offen.

1943.07.23 Panow spricht gerade, während ich das hier schreibe: "Schau, ich weiß, die wollen nicht kämpfen, die schreiben nur…" Und zu mir gewandt: "Du brauchst nicht böse zu sein, aber warum schreibst du? Solche Leute sollten im Hinterland sitzen, aber du bist doch gesund und schreibst. Willst du ins Hinterland?"

"Hör zu!" antwortete ich. "Ich schreibe nicht aus Faulheit. Und warum redest du so gedankenlos vom Hinterland? Du weißt nicht, wo ich war. Vielleicht habe ich mehr gekämpft als du. Was kannst du über jemanden sagen, den du gar nicht kennst? Ich war wie du an der Front, wie du bin ich hier, ich lerne."

"Du warst im Hinterland. Wer hat dich an der Front gesehen? Nur dein Bruder. Niemand hat dich gesehen."

Am besten fühlte sich Vladimir Gelfand dort, wo er kämpfte. Da war er am richtigen Ort. Da war er sicher in seinem Tun, entschlossen und bestimmt – etwas, das seinem Charakter eigentlich nicht entsprach, wie er selbst schreibt. Alle Befehle führte er aus, auch mit eigensinnigen Untergebenen, die oft älter waren als er. Und doch, so erstaunlich es klingt, schien Gelfand völlig frei von Angst vor dem Tod. Er war sich sicher, dass ihm nichts passieren würde. Bomben fielen, doch er saß und schrieb. Die anderen waren erschrocken, der Kommandant kam nicht aus dem Unterstand, Patienten lagen ordentlich unter den Bänken – und Gelfand saß da und schrieb.

In seinem Tagebuch beschreibt er einen schrecklichen Moment. Vor einer Schlacht begegnet er einem Mädchen – Maria Fjodorowna, Sanitätsausbilderin aus Astrachan. Kein Flirt, einfach ein Gespräch. Sie trägt eine Medaille, er hat keine Auszeichnungen. Es beginnt zu regnen, und er bietet ihr galant seinen Graben an, denn er ist besser und tiefer. Er zieht sich in ihren weniger tiefen Graben zurück. Eine halbe Minute später schlägt eine Granate in seinen alten Graben ein – dort, wo das Mädchen stand. Nichts blieb von ihr. Gelfand schreibt, dass er anstelle des Grabens ein Brett legte und eine kurze Grabinschrift schrieb. Das war alles. Dann ging es weiter zum Angriff.

In dieser Folge der Radiosendung erwähnte Oleg Budnitskij, dass er mithilfe der Datenbank des russischen Verteidigungsministeriums festgestellt habe, dass es sich bei Maria Fjodorowa tatsächlich um eine Sanitäterin aus Astrachan handelte und dass alle Angaben – einschließlich des Todesdatums – übereinstimmen. Dies spricht für die Genauigkeit von Gelfands Tagebuch.

Ich möchte aus dem Gedächtnis einige kurze Auszüge aus dem Tagebuch zitieren, die die Härten des Krieges und die Haltung des Autors zum Geschehen eindrücklich schildern:

30.09.1943
Vorgestern haben uns die Deutschen mit ihrer Artillerie eingedeckt. Ich bin sicher, dass uns nur ein Wunder gerettet hat – keiner wurde getötet oder verletzt. Ich befand mich im Graben während des Beschusses. Ich beschloss, mich nicht zu verstecken – komme, was wolle. Die Granaten explodierten jedoch so nah und heftig, dass mein Graben einstürzte. Ich wurde vollständig mit Erde bedeckt. Wäre ich nur einen Moment früher den Kopf gesenkt, hätte ich ersticken können.

10.11.1943
Gestern wurde den ganzen Tag geschossen. Es wurden 700 Granaten abgefeuert – das ist keine Übertreibung. Was sie dort als „Gurke“ bezeichneten, als sie per Funk angerufen wurden, weiß niemand genau, aber die Granaten schlugen im Minutentakt ein. Der Feind beschoss das gesamte Gebiet, und es gibt keinen einzigen unversehrten Fleck mehr. Ich frage mich, wie der Deutsche uns nicht entdeckt hat. Die Minen und Granaten schlugen in fünf bis zehn Metern Entfernung von unserer Stellung ein. Und jetzt jaulen sie wieder – sie fallen, zerreißen, der sechsläufige Mörser des Feindes schlägt zu.
Und dennoch hatte ich Zeit, fünf Briefe zu schreiben: an meine Mutter, nach Magnitogorsk, an meinen Vater, Tante Anna, Onkel Luze.

17.02.1943
Meine Stiefel wurden mir nicht gegeben, auch keine Ersatzschuhe. Einen Mantel zum Wärmen habe ich auch nicht bekommen. Einen Westmantel haben sie mir versprochen. Meine Füße waren bereits im Winter 1942 in Stalingrad erfroren – sie sind entsetzlich durchgefroren, ich konnte kaum mehr aus dem Graben kommen, saß mit einem Umhang eingewickelt und in Stroh vergraben.

28.04.1944
Endlich, als ich es kaum noch für möglich gehalten hatte, ist es geschehen: Heute hat mich Poluschkin zum Kommandeur eines Gewehrzugs ernannt. Man stelle sich das vor – als Belohnung für acht Monate Kampf an der Front! Aber trotz alledem – dieser Mensch, der mich hasst, nur weil ich Jude bin, träumt offenbar davon: „Sollen die Juden mal ordentlich kämpfen.“ Er glaubt, ich hätte die vorderste Linie noch nie gesehen. Natürlich habe ich Angst – ich will leben –, aber ich kann nicht glauben, dass mein Schicksal mich so urplötzlich vernichtet. Es ist so schön, dass ich bisher unversehrt geblieben bin, dass es schwer ist zu glauben, dass sich das ändern könnte.

05.07.1944
Gestern waren es genau zwei Jahre, seit ich in die Rote Armee eingetreten bin. Die Zukunft wird zeigen, was geschehen wird. Und im Übrigen – ich bin kein Arzt, wie manche behaupten.
Mein Leben ist nicht nur für mich wichtig – wenn das Schicksal wirklich gewollt hätte, dass ich ein Niemand werde, hätte es mir längst alles genommen, was ich jetzt habe. Es hätte mich verschlungen, zerrissen, einem grausamen Tod ausgeliefert, wie so viele andere in diesem Krieg.
Aber wenn dem nicht so ist, dann wird über mir die Schönheit schweben wie ein Engel der Liebe, und andere Notwendigkeiten werden im Lauf der Zeit zu mir kommen. Wenn ich nur nicht verwundet werde, kein Krüppel werde – dann ist mein Traum einfach: Ich möchte Schriftsteller werden. Was brauche ich dazu? Talent, Fleiß und Zeit. Was mir noch fehlt, ist Anerkennung. Ich habe so viel gekämpft – und niemand weiß es zu schätzen.
Ein Mädchen – Krankenschwester, ein Künstler, ein untergeordneter Lagerverwalter – und alle tragen Medaillen auf der Brust. Und ich? Habe ich das nicht verdient?
Die „Katjuschas“ donnern – schön. Vielleicht beginnt es bald. Man darf jetzt nicht unachtsam schreiben. Ich höre auf. Es wird dunkel. Irgendwo rattert ein Maschinengewehr, ein Geschütz jault, Schüsse klatschen. Die Front wartet angespannt auf etwas.

11.05.1944
Gestern erhielt ich von Onkel Lyusya den zweiten Brief in den letzten Monaten, datiert auf den 23. und 31. März 1944. Ich habe bereits geantwortet. Von Mama kam heute der dritte Brief. Von Tante Anja bekam ich Briefe vom 27.11., 17.04., 07.03., 25.01., 18.03., 19.03. und 17.10. Von Papa Briefe vom 23.03., 14.03. und 28.03. Papa hat viel geschrieben. Von Sanja kamen zwei Briefe, und von Nina Kamenowskaja einer. Ich habe gestern und heute an Nina geschrieben und Semjon das Gedicht „Leben“ geschickt.
Heute verlassen wir die Frontlinie. Wir übergeben unsere Verteidigungsstellung am linken Ufer des Dnjestr, am Rande des Dorfes Krasnaja Gorka. Es ist bereits Abend. Bald wird die Sonne hinter dem Horizont verschwinden, und sobald es dämmert, brechen wir auf.

14.05.1944
Während meines gesamten Aufenthalts hier (ich bin seit dem 9. Mai mit der Einheit hier) erschüttern heftige Kämpfe den gesamten Abschnitt. Besonders auf dem anderen Ufer des Dnjestr, wo wir einen kleinen, aber gut befestigten Brückenkopf halten. Vor einigen Tagen drängten die Deutschen unsere Truppen aus dem Dorf auf dem linken Ufer zurück, doch alle weiteren Angriffe blieben erfolglos. Seit mehreren Tagen ist die Front nun ruhig. Der Dnjestr ist an dieser Stelle nur etwa 100 Meter breit. Täglich überfliegen Gruppen von Flugzeugen das andere Ufer – 20, 30, manchmal 15 Maschinen am Tag, sowohl unsere als auch die deutschen. Unsere Seite dominiert jetzt in der Luft.
Ich antwortete Anja mit einem Brief und dem Gedicht „Leben“, an Maja mit dem Gedicht „Mai“. Ich schrieb an die Redaktion der Zeitung Kirover Arbeiter in Odessa mit einem Gedicht. Briefe gingen auch an Mama, Papa, Tante Anja, Sanja und Lala Tsyur nach Dnepropetrowsk.

09.07.1944
Die Zeitung Kirowez hat mein Gedicht „Mörtelschütze“ veröffentlicht, den Titel jedoch in „Mörsermann“ geändert. Zudem wurden im Text einige Korrekturen vorgenommen, doch dabei unterlief ein grober Fehler – aus dem Wort „Ehre“ wurde „ausgezeichnet“. Ich bin empört bis aufs Äußerste. Eine Antwort habe ich noch nicht geschrieben – es fehlte an Zeit. Ich werde einen Leserbrief direkt an Genossen Schetinin schreiben.

Lieber Genosse Major Schetinin,
Mit Genugtuung habe ich zur Kenntnis genommen, dass Sie Ihr Versprechen eingelöst haben, mein Gedicht in der Zeitung Kirover Arbeiter zu veröffentlichen. Ich muss jedoch mitteilen, dass im Text durch einen Korrektor grammatikalische und stilistische Fehler eingebaut wurden. Besonders empört hat mich die eigenmächtige Änderung des Originaltexts, mit der ich nichts zu tun habe.
Die Änderung des Titels kann ich noch hinnehmen, doch dass das Wort „Ehre“ durch „ausgezeichnet“ ersetzt wurde, ist für mich inakzeptabel. Der vorletzte Vers lautet im Original:

Ich putze den Mörser bis er glänzt,
er gehorcht mir wie das Leben selbst.
Es ist schön, wie er pfeift,
wenn er den Feind im Blick hat.
Hoch über den Kopf hinaus
fliegt er, trifft den Feind überall –
ob über oder unter der Erde!

Ende 1944 bis Anfang 1945
Wladimir Gelfand nahm im Rahmen der 301. Division an der blutigen Weichsel-Oder-Operation teil. Diese ermöglichte es der Roten Armee, durch Polen bis an die Grenzen Deutschlands vorzurücken. Er wurde in die heißesten Kampfabschnitte versetzt.

20.08.1944
Vom ursprünglichen Bestand des Unternehmens sind nur noch 30 Mann übrig. Zwei Zugführer wurden getötet, einer verwundet. Ich war dabei, als sie den Befehl erhielten. Die beiden Männer waren bleich, und in ihren Gesichtern las ich den tödlichen Schatten derer, die dem Tod schon ins Auge gesehen haben. Es erschütterte mich, diese Gleichgültigkeit in ihren Gesichtszügen, die leblose Stimme, der starre Blick. Ich erkannte: sie lebten innerlich schon nicht mehr. Ich wollte aufschreien, sie aufhalten, ihnen die Hände drücken, sie beruhigen, ihr Herz vor der Schlacht trösten – aber ich wagte es nicht. Ich war doch kein Kind mehr.

Der Verwundete, ein Leutnant, antwortete hingegen gefasst, beinahe erschrocken, aber mit fester Stimme. In seinen Worten lag Leben und Entschlossenheit.

Die schlimmste Zeit im Krieg ist nicht das Gefecht selbst, sondern die Minuten davor – wenn man im Graben sitzt, im Niemandsland, den Rauch der einschlagenden Granaten sieht, das Beben der Erde spürt, den Brandgeruch einatmet und sein eigenes Herz unregelmäßig schlagen fühlt. In der Hitze des Gefechts vergisst man die Angst. Aber im Leerlauf nagen die Gedanken, und man spürt die Nähe zur Hölle in jeder Faser.

Die überlebenden Matrosen zeigten großen Heldenmut. Einer von ihnen, dessen Name wohl unbekannt bleiben wird, ist mir besonders in Erinnerung geblieben: beide Hände verwundet, verband er trotzdem mit letzter Kraft weitere Verwundete, gab zehn Mann Munition. Als ich ihn traf, blutete er noch immer.

14.01.1945
04:50 Uhr. Draußen ist es noch stockdunkel, doch die Deutschen bombardieren bereits wie wahnsinnig. Mein Herz klopft. Jeder Einschlag, jedes Heulen reißt an den Nerven. Ich sitze da, warte – auf das Urteil des Schicksals, das mich jeden Moment ereilen kann. Die Granaten erhellen die Nacht, Erde und Schutt stürzen ein, über mir hängt ein grauer Alptraum. Ich hocke in einem notdürftigen Schacht, etwa anderthalb Meter tief, der Ausgang zeigt direkt zum Feind – besonders gefährlich. Wir befinden uns an vorderster Front, mitten im Brennpunkt. Jeder Einschlag hallt in uns wider. Die Soldaten fluchen, sie sagen, sie hätten Angst. Ich schweige. Ich darf es nicht zeigen – ein Kommandant braucht Nerven aus Stahl.

Gestern war ich beim sechsten Zug unseres Bataillons, um einem Nachbarbataillon zu helfen. Nach einem feindlichen Artillerieangriff lagen vier Männer tot im Verbindungsgraben, verstümmelt, blutüberströmt – vor wenigen Stunden noch lebendig.

17.02.1945
Oft denke ich über mein jetziges Leben nach. Was fehlt mir eigentlich? Ich habe Papier, ich habe Zeit, sogar Bleistifte und Tinte – also nutze ich die Gelegenheit. Doch zwei Hindernisse hemmen mich: Kälte und Läuse. Meine Gedanken sind verworren, das Elend lähmt.

Aus einem Brief von Alexander Gelfand, Sohn von Wladimir Gelfand:
„Weder 1965 noch 1982 wusste ich, dass Wladimir Natanowitsch Gelfand freiwillig als Erster die Oder überquert hatte. Ich dachte immer, das sei ein Befehl gewesen. Erst durch seine Tagebücher, die mir mein Bruder Vitalij zuschickte, wurde mir klar, dass mein Vater sich freiwillig für eine fast sichere Todesmission gemeldet hatte.

Sowjetischer Patriotismus? Ja. Hass auf die Deutschen? Ja. Waghalsiger Mut? Auch ja. Aber der eigentliche Grund war: Mein Vater wollte raus aus der Kompanie von Hauptmann Rysev. Die Lage dort war unerträglich. Rysev hatte ihn vor versammelter Mannschaft ins Gesicht geschlagen, ihn provoziert. Mein Vater schrieb: ‚Entweder ich schlage zurück und werde erschossen, oder ich erschieße ihn und werde vor Gericht gestellt und hingerichtet.‘ Das Bataillon unternahm nichts – man schob Gelfand zu Rysev und Rysev zu Gelfand. Die gefährliche Mission war für meinen Vater ein legaler Ausweg.“

03.03.1945
Unsere Mörser sind in einer dichten Linie nahe der vordersten Front aufgestellt – Mörser der ganzen Armee! Nur 20 Meter vor uns stehen 45-mm-Kanonen in einer Kette. Dahinter folgen 76-mm-Geschütze. Ich sah unzählige Katjuschas, „Iwan der Schreckliche“, wie sie auch genannt werden, Panzer, Selbstfahrlafetten – alles, was das Herz des Kriegshandwerks begehrt. Und trotzdem konnte der Gegner nicht sofort zum Schweigen gebracht werden – auch er verfügte über gewaltige Feuerkraft.

Dieser Durchbruch wird der spektakulärste und bedeutendste der bisherigen Operationen sein. Der Feind hat sich hier über ein halbes Jahr verschanzt, Kräfte und Technik konzentriert. Die Kämpfe werden heftig – aber entscheidend.

14.04.1945
Vor Beginn der letzten Offensive wurde ich dem Stab zugeteilt und sollte das ZHBD (Journal der Feindseligkeiten) führen. Unsere Artillerie hatte den Befehl, die deutschen Stellungen zu beschießen – es war kein besonders gewaltiges Feuerwerk, aber es hatte eine spürbare Wirkung: Der Feind zog sich deutlich weiter zurück, als unsere Kommandeure ursprünglich angenommen hatten. Völlig überraschend fielen viele Gefangene in unsere Hände.

Am Ende des Krieges war ich leider vollständig zum "Tylowik" geworden – ein Mann im rückwärtigen Bereich. Dem Feind kam ich in dieser Zeit nicht näher als zwei oder drei Kilometer. Und doch – mich zieht es dorthin, wo es brüllt, stöhnt und brennt!

Nachdem ich das Tagebuch gelesen hatte, hatte ich zunächst den Eindruck, dass Gelfand nicht unmittelbar am Sturm auf Berlin teilgenommen hatte. Doch das stimmt nicht. Sein Sohn Alexander erklärt die Umstände so:
„Während der Schlacht war natürlich keine Zeit zu schreiben. Auch retrospektiv hat mein Vater nichts darüber aufgeschrieben. Er konnte einfach nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden. Vergleichen Sie das mit der Schlacht um Stalingrad: Während der Kämpfe dort gibt es im Tagebuch im Schnitt einen Eintrag pro Monat – schlicht, weil keine Zeit war. Am Ende der Schlacht aber kam Wladimir Natanowitsch Gelfand ins Lazarett. Er hätte also die Gelegenheit gehabt, die Schlacht zu beschreiben. Aber was schreibt er? Dass er seinen Zimmernachbarn im Krankenhaus veralbert hat!“

Seit März 1945 war Leutnant Gelfand als aktiver Frontkorrespondent der Divisionszeitung bei der 301. Division tätig. In gewissem Sinn hatte er Glück – nach seinen Tagebüchern wurde ein wesentlicher Teil der Kompanie, in der er zuvor gekämpft hatte, vollständig ausgelöscht. Vielleicht war es genau das, was sein Leben rettete: Dass er in den letzten anderthalb Monaten des Krieges im Divisionsstab tätig war. Und dank dessen ist uns sein Tagebuch erhalten geblieben, das er seit 1941 mit sich führte.

Am 25. April 1945 war Gelfand mit dem Divisionsstab in Berlin. Die Auszeichnung ließ lange auf sich warten – erst später wurde Leutnant Gelfand für den Brückenkopf an der Oder und die Einnahme Berlins mit dem Orden des Roten Sterns geehrt.

Er war gewiss kein großer Dichter – und dennoch schrieb er unablässig. So verfasste er auch im siegreichen Mai 1945, nachdem er den Reichstag erreicht hatte, ein Gedicht, das er auf eine der Säulen des Gebäudes kritzelte:

Auf dem Balkon eines Hauses in Berlin
steh ich mit anderen Kämpfern hier.
Ich freue mich – und spuck auf Deutschland,
auf das besiegte Berlin spuck ich!

Nach dem Sieg über Deutschland versuchte Wladimir Gelfand, einen Übersetzerkurs zu absolvieren, um nach der Kriegserklärung der UdSSR an Japan in den Osten verlegt zu werden und an der Niederwerfung der japanischen Armee teilzunehmen. Doch stattdessen wurde er in die sowjetische Besatzungszone in Deutschland versetzt.

„Ich will einfach nur nach Hause“, schrieb er am 12. Juni 1945 in sein Tagebuch. „Ich bin apathisch, gleichgültig.“

Den gesamten Sommer über hegte er Hoffnung auf eine baldige Entlassung aus dem Militärdienst. Doch die Kriterien für die Demobilisierung betrafen ihn nicht. Er fiel weder unter die erste Entlassungswelle gemäß dem Dekret vom 23. Juni 1945 noch unter das lautere, zweite Dekret vom 25. September 1945. Ohne konkrete Aufgaben verbrachte er den Juni in einem Zustand angespannter Orientierungslosigkeit und in einem instabilen Verhältnis zur Kommandostruktur.

Als die wissenschaftliche Bibliothek aufgelöst werden musste, empfand Gelfand dies als „beschämende Barbarei“ (Eintrag vom 16./17. Juni).

Er versuchte vergeblich, Urlaub zu bekommen, um seine kranke Mutter in Dnepropetrowsk zu besuchen. Nach der Rückkehr aus der Evakuation war es ihr fast zwei Jahre lang nicht gelungen, in ihr früheres Zimmer zurückzukehren, in dem sie vor dem Krieg mit Wladimir gelebt hatte – und sie konnte ihr Eigentum, das Nachbarn zugewiesen worden war, nicht zurückerlangen.

Gelfand blieb bis September 1946 in Deutschland. Er diente in verschiedenen Abteilungen der Einheit. Er organisierte die Versorgung der sowjetischen Truppen mit Gütern und Materialien, ebenso wie Transport und Rückführung von beschlagnahmtem Eigentum. Er reiste durch viele Städte in Deutschland, kaufte sich eine Kamera und entwickelte Interesse an der Fotografie. Aus Deutschland brachte er über 500 Fotos mit.

Im Oktober 1946 kehrte Wladimir Gelfand nach fünf Jahren Krieg in seine Heimatstadt Dnepropetrowsk zurück. 1949 heiratete er ein Mädchen, das er noch aus Schulzeiten kannte und mit dem er während des Krieges in Briefkontakt stand – Bertha (oder, wie er sie in seinem Tagebuch nannte, Beba) Koifman. Sie lebte mit ihren Eltern in Perm (damals Molotow) und studierte dort an der medizinischen Schule. Im April 1950 kam ihr Sohn Alexander zur Welt. 1952 schloss Wladimir Gelfand sein Studium an der philologischen Fakultät der Universität Gorki (Molotow) ab. Seine Diplomarbeit widmete er dem Roman Sturm von Ilja Ehrenburg. Im Februar 1951 hatte er Ehrenburg sogar in Moskau getroffen.

Seit August 1952 arbeitete Gelfand als Lehrer für Geschichte, russische Sprache und Literatur an einer Eisenbahnschule in Molotow. Bald geriet seine Ehe mit Bertha in eine Krise. 1954 verließ Wladimir seine Frau und seinen Sohn und zog nach Kiew, wo er als Geschichtslehrer an einer Berufsschule unterrichtete.

Von da an und bis zu seinem Tod im Jahr 1983 arbeitete er als Lehrer an verschiedenen Berufsschulen in Dnepropetrowsk. Er war publizistisch aktiv, schrieb Artikel und Gedichte für lokale Zeitungen. Zwischen 1968 und 1978 veröffentlichte er über sechzig Beiträge zu pädagogischen Themen und zur Erinnerung an den Krieg.

Als Kommunist war er stark in die gesellschaftliche Arbeit der Schulen eingebunden, an denen er unterrichtete. Gleichzeitig geriet er – angesichts des damals in der Ukraine verbreiteten Antisemitismus – wiederholt in harte Auseinandersetzungen mit Kollegen über nationale Fragen.

Aus seiner zweiten Ehe mit Bella Schulman hatte er zwei weitere Söhne. In den 1970er-Jahren gelang es ihm, einen kleinen Auszug aus seinen Erinnerungen an die ersten Tage im besiegten Berlin in der sowjetischen Zeitung Sowetskoje Stroitelstwo vom 25. April 1975 zu veröffentlichen. Allerdings war dieser stark geglättet und der offiziellen Linie angepasst – was in jener Zeit verständlich ist.

Wladimir Gelfand starb am 25. November 1983 in Dnepropetrowsk.

Laut dem Historiker Oleg Budnizki haben er und seine Kolleginnen Tatjana Makhalowa und Irina Voronina unter Auswertung der Militärarchive eine vollständige, kommentierte und originalgetreue Ausgabe von Gelfands Tagebüchern vorbereitet. Die Veröffentlichung des Buches wird noch in diesem Jahr erwartet.

Zum Schluss sei gesagt, dass Jack, der Enkel von Wladimir Natanowitsch Gelfand und Sohn meines Freundes Sascha, seinem Großvater auf den Fotos von 1945 sehr ähnlich sieht. Er ist gewissermaßen in dessen Fußstapfen getreten: Er absolvierte seinen Militärdienst bei den Panzertruppen der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) – einschließlich aktiver Teilnahme an Kampfhandlungen.