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Der
Sowjetbürger
Wladimir Gelfand zog mit 19 Jahren freiwillig in den Krieg. Er
kämpfte in
Stalingrad, hat Warschau befreit und marschierte als einer der Ersten
mit
seiner Einheit in Berlin ein. Als Besatzungsoffizier war er noch bis
Ende 1946
in Deutschland. All
die Zeit
führte er Tagebuch. Als erste authentische und unzensierte
Aufzeichnung eines
russischen Soldaten wird es nun veröffentlicht. Das Kriegsende
1945 aus der
Perspektive eines Rotarmisten. Der
Teufel ist
den Deutschen am ähnlichsten. Zuerst schwelgt er ganz im
Bösen, aber wenn er
den Tod vor Augen hat, spürt er zum ersten Mal den ganzen
Schrecken und er
bettelt kläglich um Erbarmen. Und zwar bei dem Menschen, dem
er so übel
mitgespielt hat. So
demonstrativ-dämonisch beschreibt der 21-jährige
Wladimir Gelfand seine
Begegnung mit dem Feind. Er ist Leutnant der Roten Armee. Die Schlacht
um
Berlin hat er gerade siegreich überstanden. Und
was
erstaunlich ist, der junge Rotarmist schreibt Tagebuch. Das darf er
eigentlich
nicht, aber die Kommandeure lassen den eigensinnigen Leutnant
gewähren. Gestern Morgen ist das
unvergessliche
Geschehen, - schreibt er Anfang Mai in sein Tagebuch.
- Die
Deutschen haben in die vollständige Kapitulation eingewilligt.
300.000
Soldaten
der Roten Armee wurden im Kampf um Berlin noch getötet. Die,
die überlebt
haben, verewigten sich im Stein des Berliner Reichstages. Auch
Gelfand
hinterlässt das Autogramm eines Siegers. Ich spucke auf
Deutschland, ritzt er
in die Ruinen. Er besorgt sich einen Fotoapparat und inszeniert sich
als
selbstbewussten Kriegshelden. Und
er schreibt
begierig alles auf, was er erlebt. Sein Sohn Vitaly Gelfand hat im
Nachlass des
Vaters die Tagebücher gefunden. Erstmals gewähren sie
uns unmittelbar einen
Einblick in die Gedanken eines Rotarmisten. Ja,
er hat sich als Sieger gefühlt. Er
hat die Deutschen gehasst. Sie haben während des Krieges einen
Teil seiner
Familie umgebracht. Sie
waren ukrainische Juden. Aber als er
dann Deutschland gesehen hat, waren die Deutschen nicht mehr nur alle
Nazis für
ihn. Er war neugierig und wollte etwas erleben. Der
junge
Leutnant beim Schlendern. Sein touristischer Auftritt ist
bemerkenswert. Mit
einigem Erstaunen liest man, wie selbstverständlich sich der
sowjetische
Besatzungssoldat durch das zerstörte Berlin bewegt. Er
lernt Deutsch,
erträumt von der Liebe und sei es zu einem deutschen
Mädchen, notiert er. Der
gutaussehende Rotarmist komplimentiert sich in die einsamen deutschen
Schlafstuben. Im Oktober 1945 schreibt er ganz unbekümmert, ihre Mutter ist mit mir zufrieden.
Schließlich
hatte ich Süßigkeiten und
Butter mitgebracht. Genug, um mit der Tochter alles Erdenkliche
anzustellen.
An
anderer Stelle
aber ist er erschüttert über das Verhalten mancher
Kameraden.
Vergewaltigungen
prägen bis heute die
Erinnerung an die Eroberer. Natürlich
hatte ich Angst. Tja. Da denke
ich an den Erlkönig.
Und
bist du nicht willig, so brauche ich Gewalt. Und die Gewalt in
Form eines Revolvers, der auf mich gehalten wurde. Ich konnte nichts
machen.
Ich
habe aber auch gesehen, Feldküchen,
die auf der Straße standen und die Russen Kinder versorgt
haben. Das war die
andere Seite. Die
Tagebücher
belegen diese Erfahrung.
Gelfand
befürchtet, dass man uns für gutherzige und zugleich
grobe und wilde Menschen
hält. Als Anfang August 1945 persönliche Kontakte zu
Deutschen verboten werden,
ist er empört. Er besorgt sich ein Fahrrad und fährt
weiterhin seine
Bekanntschaften besuchen. Das
Fahrrad hat
er gekauft, nicht gestohlen. Darauf legt er in seinem Tagebuch Wert.
Anders als
die Diebe und Säufer, die unsere Autorität
untergraben, notiert er. Dem
etwas
selbstverliebten jungen Leutnant ist die Aufmerksamkeit vieler
deutscher Frauen
sicher. Wie selbstverständlich Liebesbeziehungen zwischen
Siegern und Besiegten
auch im Osten sein konnten, spricht aus Gelfands Tagebüchern
und den Briefen an
ihn. Er
hat nach dem Krieg einmal geschrieben,
seine erste große Liebe, und auch sie hat ihn geliebt, war
die zu einer
Deutschen.
Margot
hieß sie. Und er war verzweifelt darüber, warum er
nicht den
Mut hatte, mit ihr in Verbindung zu bleiben, als er wieder in seiner
Heimat
war. Gelfands
Aufzeichnungen zeigen einen an Deutschland interessierten und sehr
unternehmungsfreudigen Besatzer. Der
adrette
Leutnant liebt Friseurbesuche, dabei macht er so seine Beobachtungen. Die Deutschen sind geizig, niemals schenken
sie etwas ohne einen doppelten Nutzen für sich. Einmal
wird er
gefragt, ob Deutschland wieder groß und stark werde.
Der
Leutnant ist überrascht, ob des
zynischen Gedankens. Im September 1946 kehrt Gelfand nach Russland
zurück. Sein
Deutschland-Tagebuch zeigt das Jahr 1945 ohne heroisierende
Kriegserinnerungen. Was
es einmalig
macht, ist der unverfälschte Blick von der anderen Seite der
Front. Eine
ungewohnte Perspektive, die auch Vorurteile in Frage stellt. Das
Deutschland-Tagebuch eines Rotarmisten erschien im Aufbau Verlag. |