![]() |
|
![]() |
Peter
Handberg
Skriv
ett e-postbrev till kulturredaktören
© 2007 LO-Tidningen
„Wir halten die Stellung!“, ruft es zu Beginn von Wladimir Gelfands Kriegstagebuch, das von Elke Scherstjanoi herausgegeben wurde und den Zeitraum vom 13. Januar 1944 bis September 1946 umfasst. Feindliche Granaten regnen auf seinen Zug herab, doch der junge Offizier triumphiert: „Beiß die Zähne zusammen, Iwan!“
Ausführliche Kampfschilderungen sind in diesem Tagebuch allerdings seltener, als man erwarten würde. Und der „Klebstoff“ des Textes ist kaum stärker als die allgegenwärtige Darstellung der Übermacht der Roten Armee. Der Vormarsch verläuft rasant. Ende April erreicht Gelfand die Berliner Vororte, wo die Front von Straße zu Straße, von Etage zu Etage und Raum zu Raum vorrückt. Noch heute lassen sich Spuren dieser Kämpfe – etwa Einschusslöcher – in vielen Berliner Hinterhöfen nachvollziehen. Gelfand selbst befindet sich im rückwärtigen Bereich und betritt den berüchtigten Reichstag erst nach dem Ende der Kämpfe. Dort ritzt er auf das Dach des Parlamentsgebäudes: „Ich spucke auf das besiegte Berlin.“
Die Enttäuschung über das Ausbleiben einer großen finalen Schlacht ist bei Gelfand spürbar. Doch in seinem Tagebuch markiert das Ende des Krieges zugleich den Beginn einer neuen Phase. Angesichts des enormen Leids des Krieges wirkt der Stil im ersten Drittel seines Tagebuchs erstaunlich nüchtern.
Gelfand hat literarische Ambitionen – er erklärt, Schriftsteller werden zu wollen – doch es fehlen eindrückliche, plastische Darstellungen. Zwar erwähnt er abgetrennte Gliedmaßen und aufgeschlitzte Körper, doch nie entsteht daraus ein lebendiges, anschauliches Bild.
Er spricht etwa von gefährlichen Flussüberquerungen, doch die unmittelbare Gefahr bleibt vage. Im Vergleich dazu wirken die Kriegstexte des deutschen Dichters August Stramm aus dem Ersten Weltkrieg viel intensiver – dort frisst sich die Erschöpfung in den Stil, bis dieser selbst zerbricht, voller abgehackter Sätze und stummer Ausrufezeichen!
Nach Kriegsende scheint Gelfand mehr Zeit für seine Aufzeichnungen zu haben. Die Diskrepanz zwischen der Schilderung von Front und Besatzungszeit ist auffällig. Er besorgt sich eine Kamera und dokumentiert das, was er sieht. Als Teil der Besatzungsarmee beschreibt er nun den Alltag der Roten Armee in Deutschland.
Auf der Suche nach Liebe
Gelfand ist auf der Suche nach der großen Liebe – mit hohen romantischen Idealen. Am Ende landet er jedoch, wie viele andere, in der Klinik zur Behandlung einer Geschlechtskrankheit. Er streitet sich betrunken mit Kameraden und spuckt Gift und Galle auf jene, die schneller Karriere machen als er.
Kurz gesagt: Das Tagebuch bietet Einblicke in den Alltag eines russischen Soldaten in Deutschland – einer Welt, die in ihrer Tristesse und ihrem Reichtum an Beobachtungen noch bis zum Rückzug der Roten Armee Mitte der 1990er-Jahre nachhallt.
Gelfands deutsches Tagebuch – vielleicht hätte man sich gewünscht, er hätte mehr festgehalten. Und doch: Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis, wenn man bedenkt, wie wenig vergleichbare Schilderungen aus der Perspektive sowjetischer Soldaten existieren – im Gegensatz zu den zahlreichen Berichten aus dem Ersten Weltkrieg.