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Wladimir
Gelfand (1923-1983) hat kein "bedeutendes" Leben geführt, obwohl er ein
ehrgeiziger, wissensdurstiger und offenkundig sympathischer Mensch war.
Der Sohn aus proletarisch-jüdischem Milieu wuchs im Industriegebiet der
Ukraine auf, war begeisterter Jungkommunist und Stalin-Verehrer, wurde
im Weltkrieg Artillerieoffizier - sein großer Ehrgeiz aber wäre es
gewesen, Schriftsteller zu werden. Stattdessen endete er als
Berufsschullehrer in Dnepropetrowsk.
Gelfands Sohn Vitali
übersiedelte 1995 nach Berlin und brachte einen Koffer voller
Tagebuchaufzeichnungen und Memorabilia seines Vaters mit - und dieser
Quelle entstammt das vorliegende Buch. In gewissem Sinne ist es eine
Sensation: das erste auf Deutsch vorliegende Kriegstagebuch eines
sowjetischen Offiziers - und dazu offensichtlich ehrlich und
ungeschönt. Andererseits muss auch die Herausgeberin Elke Scherstjanoi
zugeben, der junge Artillerieleutnant sei mit seinen 23 Jahren "nicht
reif für Beobachtungen und Stellungnahmen, wie wir sie gerne von ihm
lesen würden" gewesen. Bei der Lektüre dieses Tagebuchs wird auch vor
allem eines klar: das ist ein sehr junger Mensch, ein netter, gut
aussehender Bursche und offensichtlicher Mädchenschwarm (das
Vergewaltigen hatte er nicht nötig!), aber in seinen Beobachtungen und
Aussagen doch ziemlich klischeehaft und oberflächlich. Da kann man dann
Sätze wie auf S. 182 lesen: "Eine Deutsche hat versprochen, morgen
vorbeizukommen. Sie hat eine heiße Brust und ein junges, gefügiges
Herz. Und ich werde mit meinem Durst nach Zärtlichkeit bald entweder im
Sumpf der Liebe oder im smaragdenen Meer der Gemeinheit ertrinken".
Irgendwie nachvollziehbar, dass die sowjetischen Frontzeitungen
Gelfands eingesandte Gedichte nicht drucken wollten ...
Gelfands
Aufzeichnungen spiegeln zu Beginn die harten Kämpfe des letzten
Kriegswinters wider, später die beginnende Realität der Besatzung.
Wieweit es als Bericht eines Zeitzeugen größere Aufmerksamkeit
verdient, sei dahingestellt.
Quelle: Bücherschau (Büchereiservice des ÖGB), Robert Schediwy
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