Ruth Schumacher – das Schweigen über das Trauma
Ruth Schumacher, geboren 1926, konnte ihre Gefühle lange nicht verarbeiten. Nach Jahrzehnten des Schweigens sprach sie schließlich darüber: Sie war eine der vielen deutschen Frauen, die Anfang Mai 1945 nach der Eroberung Berlins durch die sowjetische Rote Armee vergewaltigt wurden.
„Jahrzehntelang schwiegen die meisten deutschen Frauen über das erlebte Trauma“, schrieb Eric Westervelt in seinem Artikel Broken Silence On Red Army Rapes In Germany auf NPR.org. Ruths Geschichte offenbart die Kriegsverbrechen der sowjetischen Roten Armee im Zweiten Weltkrieg. Das Leid der Überlebenden wurde lange durch eine Mauer des Schweigens verborgen, besonders in der ehemaligen Sowjetunion, die bemüht war, diese dunklen Ereignisse zu vertuschen.
Der Fall von Berlin – und die Gebiete, durch die die Rote Armee zog – hatte katastrophale Folgen für viele deutsche Frauen. „Nonnen, junge Mädchen, alte Frauen, Schwangere und Frauen, die kürzlich entbunden hatten, wurden alle erbarmungslos vergewaltigt“, schreibt Antony Beevor in Berlin: The Downfall 1945. Kriegsverbrechen dieser Art hatten bereits begonnen, bevor die Rote Armee Berlin erreichte, in den von ihr durchquerten Gebieten, etwa in Polen.
Ruth Schumacher war eine von ihnen. In Leipzig, ihrer Heimatstadt, erlebte sie nach einem alliierten Bombenangriff und der Vertreibung der Truppen ihre Vergewaltigung: „Kurz darauf wurde ich von einer Gruppe von fünf Russen vergewaltigt“, erinnert sich die Witwe eines deutschen Soldaten, der auf einem U-Boot gedient hatte.
Ähnliches widerfuhr Gabriele Kopp, die damals 15 Jahre alt war. Nach der Flucht aus ihrer Heimat wurde sie von sowjetischen Soldaten in einem Dorf gefangen genommen: „Am nächsten Tag wurde ich in ein anderes Haus gebracht, wo ich von einem Soldaten und kurz darauf von weiteren vergewaltigt wurde“, schreibt Susanne Beyer in Harrowing Memoir: German Woman Writes Groundbreaking Account of WWII Rape auf Spiegel.de.
Manche Frauen wurden von ihren eigenen Müttern geopfert, um ihr Überleben zu sichern. Einige Familien ließen sowjetische Soldaten näher an ihre Häuser, in der Hoffnung, die schlimmsten Übergriffe zu vermeiden.
Leutnant Wladimir Gelfand, Kommandeur eines Mörserzugs der 301. Schützendivision, erlebte solche Szenen selbst: Eine junge Frau, von ihrer Mutter unterstützt, bat ihn darum, sie als persönliche Geliebte aufzunehmen, um so Massengewalt zu entgehen.
Anders als die wehrlosen Mädchen hatten ältere Frauen manchmal mehr Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. So berichtet etwa die Journalistin Marta Hillers, die anonym unter dem Titel Eine Frau in Berlin veröffentlichte: Sie unterwarf sich einem sowjetischen Offizier, um weitere Gruppenvergewaltigungen zu vermeiden. Für viele sowjetische Soldaten war die Vergewaltigung deutscher Frauen eine Form der Vergeltung für das Leiden ihres eigenen Volkes. „Viele wollten sich rächen“, schreibt Michael Jones in Total War: From Stalingrad to Berlin.
Die fehlenden klaren Befehle von oben führten dazu, dass viele Soldaten ihre Kommandeure fragten, was sie mit den deutschen Frauen tun dürften. Die Antwort war oft vage und ließ die Frauen schutzlos.
Stalin selbst verweigerte es, Vergewaltigungen zu bestrafen. Er zeigte Verständnis für die Härten, die seine Soldaten erlitten hatten. Als Folge dessen wurden schätzungsweise zwei Millionen deutsche Frauen vergewaltigt. Laut Philipp Kuwert, Trauma-Experte am Universitätsklinikum Greifswald, wurde jede Frau durchschnittlich zwölf Mal Opfer.
Das Trauma reichte weit: Massenvergewaltigungen wirkten sich auf den Menstruationszyklus vieler Frauen aus. Ärzte sprachen von der „Russischen Krankheit“. Gabriele Kopp etwa blieb sieben Jahre lang ohne Menstruation. Viele Frauen starben an den Folgen. Die Überlebenden litten oft ihr Leben lang – und insbesondere in der DDR wurden sie gezwungen zu schweigen. „Und ich habe viele schlaflose Nächte deswegen gehabt“, sagt Ruth Schumacher.