Rotarmisten und deutsche Frauen"Ich gehe nur mit anständigen Russen"Nach
Kriegsende lebte der jüdische Rotarmist Wladimir Gelfand
eineinhalb Jahre lang in Ostdeutschland. Er unternahm Radtouren durch
Brandenburg, fotografierte das zerstörte Berlin - und bekam
Liebesbriefe von deutschen Frauen.
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"Mein lieber Waldemar!", begann eine Frau namens Margot am 31. Januar 1946 ihren Liebesbrief. Sie bat ihren Waldemar, dass er sie bald wieder im Berliner Vorort Hennigsdorf besuchen solle und erwähnte seinen Geburtstag. Sie hoffte auf ein "baldiges Wiedersehen" und endete mit: "Sei herzlichst gegrüßt und geküsst von deiner lieben Margot." | |||
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Waldemar war nur der Kosename von Margots Geliebtem. Eigentlich hieß er Wladimir Gelfand, stammte aus der Sowjetunion und diente als Leutnant der Roten Armee im besetzten Ostdeutschland. Der Brief bedeutete Gelfand vermutlich viel, denn er nahm ihn mit zurück in seine Heimat und bewahrte ihn bis zu seinem Tod in einem Koffer auf. Zusammen mit weiteren Briefen, Fotos und einem Tagebuch. Die Erinnerungsstücke belegen wechselseitige Zuneigung mit verschiedenen Frauen. Die Historikerin Elke Scherstjanoi hat Gelfands Tagebuch auf Deutsch übersetzt und herausgegeben. Sie sagt: "Der Nachlass zeigt, dass es 1945/46 liebevolle Beziehungen zwischen männlichen Siegern und weiblichen Besiegten auch im Osten gab." Dabei hätte der junge Rotarmist gute Gründe gehabt, alles Deutsche zu abzulehnen. |
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Die SS ermordete Großmutter, Tanten und CousinenAls die Armeen Adolf Hitlers 1941 in die Sowjetunion einfielen, war Gelfand 18 Jahre alt und ging in der heutigen Ostukraine zur Schule. Seine Eltern waren Juden, praktizierten die Religion aber kaum. Die Mutter bekannte sich seit der Revolution 1917 zur kommunistischen Partei. Die SS-Männer ermordeten seine Großmutter, seinen Onkel, zwei Tanten und zwei Cousinen. Ihm und seiner Mutter gelang es, vor den Nationalsozialisten in den Kaukasus fliehen. Wladimir, der eigentlich Schriftsteller werden wollte, brach die Schule ab und meldete sich freiwillig bei der Roten Armee. |
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Nach einer kurzen Ausbildung bekam Gelfand das Kommando über eine Handvoll Soldaten und einen Granatwerfer. Er marschierte, kämpfte, fror, hungerte. Mit sich trug er Hefte, in denen er Tagebuch führte - obwohl er damit gegen die Zensurbestimmungen der Armee verstieß. Nach dem Krieg wollte er die Notizen nutzen, um einen Kriegsroman zu schreiben. Detailliert beschrieb Gelfand die Läuse, die seinen Körper bevölkerten: "Richtige Prachtexemplare, die fressen mich noch auf." Er hielt fest, wie Soldaten soffen, Befehle verweigerten, plünderten, Beförderungen erschlichen, miteinander stritten und sich schlugen. Forscherin Scherstjanoi bewertet das Tagebuch als authentische Quelle: "So weit konnten wir noch nie in die Gedankenwelt eines Rotarmisten im besetzten Ostdeutschland vordringen." |
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Das erste Mal "gesündigt"In den letzten Kriegstagen Ende April 1945 erwähnte Gelfand die Begegnung mit einer jungen Berlinerin, die in der Nacht zuvor von mehreren Rotarmisten vergewaltigt worden war. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge taten Sowjetsoldaten allein in Berlin rund hunderttausend Frauen sexuelle Gewalt an: Tausende wurden schwanger, Tausende starben an den Folgen, viele waren ihr Leben lang traumatisiert und wurden von Verwandten und Bekannten stigmatisiert. Gelfand schrieb, die junge Berlinerin habe ihm Sex angeboten, wenn er sie beschütze. Er aber habe sich für die "Soldatenpflicht" entschieden - was das bedeutete, erklärte er nicht. Nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai genoss Gelfand den Frieden: "Heute habe ich bis 11 Uhr mittags geschlafen. Ein freier Tag, Musik, Volleyball spielen, Fußball." Der inzwischen 22-Jährige hatte offenbar ein paar Wörter Deutsch gelernt, denn nun berichtete er häufig von Gesprächen mit deutschen Frauen: "Sie meinten, ich wirke wie ein Italiener, und sagten, dass ich sehr schwarzes Haar habe." Wenig später schrieb er von ersten Küssen. Für den 24. Juni vermerkte Gelfand in seinem Tagebuch, dass er das erste Mal "gesündigt" habe. Er habe ein "Fräulein" mit rotblonden Haaren angesprochen, ob sie mit ihm in seine Wohnung kommen wolle. Sie habe entgegnet: "Was werde ich da tun?" "Bücher lesen." "Aber das ist doch langweilig." Danach sei die Namenlose mit ihm in sein Bettlager gegangen. Einige Wochen später traf sich Gelfand öfter mit einer Marianne, mehr als Küsse und Umarmungen tauschten die beiden aber nicht aus. "Ich hatte mir mehr erhofft, wollte sie aber nicht drängen", notierte er. Ihre Mutter habe die Beziehung bereits abgesegnet - weil er der Familie Butter, Wurst und Zigaretten gegeben hatte. Neben seinem Charme und seinem attraktiven Äußeren machten ihn offenbar auch seine Lebensmittelrationen und sein Sold begehrenswert. |
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"Ich bin nicht mehr der Schuljunge Wowa"Seine Romanzen irritierten offenbar seine Vorgesetzten. Laut dem Tagebuch rügte ein Offizier ihn vor versammelter Truppe: "Gelfand, dem die Deutschen die eigene Familie umgebracht haben, lässt sich jetzt mit deutschen Mädchen fotografieren, bewahrt ihre Fotos bei sich auf und amüsiert sich mit ihnen." Die Militärführung hatte den Soldaten im August 1945 den Kontakt mit der Bevölkerung verboten - bestraft wurde Gelfand trotzdem nicht. In den Briefen an seine Eltern berichtete Gelfand recht offen von den Liebschaften. "Was die Mädchen und die Liebe angeht, kann ich Dir versichern: Ich bin nicht mehr der kleine Schuljunge Wowa, der sich verliebte, zitterte und den Kopf verlor", schrieb er der Mutter. Der Vater drückte einmal Missfallen aus, dass sich der Sohn mit Nichtjüdinnen abgab. Doch Gelfand entgegnete: "Ich habe niemals darüber nachgedacht, welche Nationalität die von mir geliebte Frau haben soll. Außerdem halte ich es nicht für möglich, dass meine Auserkorene ein derart unvernünftiger und rückständiger Mensch sein könnte, dass sie nationalen Unterschieden eine Bedeutung beimessen würde.." Wie viele Juden seiner Generation in der Sowjetunion war Gelfand ein überzeugter Kommunist. Die frühe Sowjetunion ermöglichte ihnen den sozialen Aufstieg: Anders als im Zarenreich konnten sie in der Roten Armee Offiziere werden. Der Historiker Norman Salusa, der zu jüdischen Rotarmisten forscht, spricht gar von einer "jüdisch-sowjetischen Liebesaffäre" - sie sollte 1948 in einer antisemitischen Säuberungswelle zu Ende gehen. |
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Affären mit Hilda, Kriemhild und NoraGelfand war bis Ende September 1946 im Berliner Umland stationiert, um Reparationslieferungen zu bewachen. In dieser Zeit ließ er sich die Haare wachsen, fotografierte und lernte Fahrradfahren. Er begann Affären mit Hilda, Kriemhild, Nora - und mit Margot aus Hennigsdorf, die ihn Waldemar nannte. Zwischenzeitlich fing er sich eine Geschlechtskrankheit ein. Historikerin Scherstjanoi kommt zu dem Schluss: "Deutsche Frauen suchten den Kontakt zu Sowjetsoldaten - und dies nicht etwa nur aus materiellen Gründen oder aus einem Schutzbedürfnis heraus." Bestes Beispiel dafür ist Helga, die sich in Gelfand verguckte und ihn schriftlich zu einem Rendezvous einlud: "Denken Sie nicht, dass ich ein schlechtes Mädel bin. Ich gehe nur mit anständigen Russen und nehme an, dass Sie so einer sind." Nach seiner Rückkehr in die Ostukraine holte Gelfand sein Studium nach, heiratete, wurde Berufsschullehrer und bekam zwei Kinder. Die Tagebücher, Fotos und Briefe aus der Zeit in Deutschland ließ er in Koffern verstauben. Erst nach seinem Tod im Jahr 1983 entdeckte sein Sohn Vitali die Dokumente wieder und tippte sie heimlich ab - aus Furcht vor der Sowjetzensur. Nachdem er in den Neunzigerjahren nach Deutschland übersiedelt war, ließ er sie veröffentlichen. Seither haben sich drei Verwandte der Liebhaberinnen seines Vaters bei ihm gemeldet. Vitali Gelfand sagt: "Wir haben Briefe getauscht und Kuchen gegessen." |
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Fotostrecke
Wladimir Gelfand - Liebschaften im besetzten Deutschland |